KOLUMNE »Mein erstes Mal«

 

NAME: Miss A. Ship

IST: Schiffssehnsuchtsforscherin

SUCHT: das Schiffsglück an Land

WUNDERT SICH: über schwimmende Vergnügungstempel … wer braucht denn Entertainment an Bord??

FREUT SICH: über Mitglieder im Club der Schiffssehnsüchtigen

ÄRGERT SICH: über Tourismuswahn im Schiffsformat

 

Mein erstes Mal auf einem Schiff war unvergesslich. Nachhaltig beeindruckend. Prägend. Wenn es doch so wäre … Die Wahrheit ist: ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß nicht, wann ich das erste Mal auf einem Schiff war, und ich weiß nicht, was genau all das ausgelöst hat, was zur Zeit einen Gutteil meiner Beschäftigung ausmacht: Die »Schiffssehnsucht«. Klar ist, die Begegnung Schiff war tatsächlich prägend. Aber sie hat vor meiner Erinnerung stattgefunden. Ich bin im Hamburger Stadtgebiet aufgewachsen, also in Hafennähe, und als Kind bin ich regelmäßig mit der Fähre auf die Insel Föhr gefahren, wo mein Opa ein Ferienhaus besaß – diesen Moment habe ich geliebt. Auf der Fähre fahren hieß: am Heck stehen und dem Kielwasser hinterherschauen, manchmal dabei die Möwen füttern, die hinter uns her flogen. Alle Innenräume und Etagen erobern und immer wieder nach draußen zurückkehren, zu den wetterfesten Außenwänden, Seeluft atmen, die Brise spüren, Balance halten beim (am liebsten starken) Schwanken. Erst viel später ist mir aufgefallen, dass auch der Maschinenölgeruch der Fähre zu meinem Schiffsgefühl dazugehört. „Später“ bedeutet: seit ich mich mit dem Thema künstlerisch auseinandersetze und untersuche, warum das Auf-dem-Schiff-Sein so ein Glücksgefühl auslöst, das mich vorübergehend von Zeit & Last befreit. In diesem Jahr ist ein Projekt mit öffentlicher Reichweite daraus entstanden: für das ELBFEST.HAMBURG habe ich als Expertin für »Ship Fiction« an unterschiedlichen Standorten im Hamburger Hafen die Schiffssehnsucht untersucht und dafür auch einen Blog ins Leben gerufen. Seitdem nehme ich dieses Phänomen genauer unter die Lupe und lade alle Sehnsüchtigen an Bord, habe ein Flaschenpostamt gegründet und entwickle Tricks und Mittel, um das Schiffsgefühl an Land zu bringen … Das erste Mal, das eins meiner „Messinstrumente“ im Einsatz war, ist wirklich unvergesslich. Und hat mein Herz zum Hüpfen gebracht: Ich hatte in der Lotsenstube im Hamburger Hafenmuseum meine Forschungsstation eingerichtet und vor offiziellem Beginn den Raum kurz verlassen. Beim Wiederkommen stand bereits ein erster „Proband“ vor dem »Schwank-o-meter« und testete seine »Schwankamplitude«, indem er vor einer horizontalen Messlatte selbsttätig hin- und herschwankte, genau in dem Maß, wie es seinem Schiffswohlgefühl entsprach. Quatsch? Natürlich! Aber auch: die einfachste und günstigste Art, sich aufs Schiff zu versetzen – mittels Vorstellungskraft. Diese Mitspiellust begegnet mir seitdem überall und schlägt viele Wellen. Das Schöne: die Einladung zur Schiffsillusion schafft Raum für Austausch über Wünsche, Erinnerungen, Träume, ... Über Sehnsucht lässt sich gut gemeinsam sinnieren. Und der Ankunftshafen? Das Projekt ist selbst zum Containerschiff geworden und befindet sich auf hoher See ... die Fahrt geht weiter, ein Ende ist nicht in Sicht.

 

(Miss A. Ship forscht unter www.schiffssehnsucht.com und schreibt ihr B-Logbuch immer sonntags.)

 

so oder ähnlich erschienen im Apropos, Salzburger Straßenzeitung