Oost

 

Nicht etwa so, dass ich heute mit guter Laune losgelegt hätte, und dann was Eintragenswertes finden und auch noch eine Stunde weniger ... Dafür nun schlagartig versöhnt, hab beim Osterputz (Ordner aufräumen usw.) ein Überraschungsei gefunden, noch verpackt und gerade mal ein Jahr alt. Find's wunderbar, ebenso skandalös und bringe es hier nun aufs Tapet ... (wo ist das eigentlich??)

 

Meldung auf ZEIT online vom 1. März 2023:

 

Wo bist du, kleine Leuchttonne?

Nach mehr als 50 Jahren stellt der Deutschlandfunk seinen großartigen Seewetterbericht ein. Dieser wirkte wie Verkehrsfunk auf LSD und ermöglichte spirituelle Einsichten. von Nils Markwardt

 

Denken wir ans Meer, erscheint es uns heute als blaue Wassermasse. Doch diese Vorstellung, das bemerkt der Kulturwissenschaftler Dieter Richter in seinem Buch Das Meer, hat sich in der Breite erst mit der Romantik durchgesetzt. Bis dahin beschrieb man es in der Regel eher als "schwarz", "dunkelbraun", "grau" oder "grün". Das ist insofern nicht verwunderlich, als die See bis in die Moderne weniger touristisches Sehnsuchtsziel war, sondern eine permanente Gefahrenzone. Hier lauerten Skorbut, Schiffbruch und ein ganzer Streichelzoo mythischer Ungeheuer. In Zeiten, in denen die meisten Menschen das Meer nur noch als Kulisse für Kreuzfahrtschiffe oder Ort der Sommerfrische erfahren, ist der Sinn für derlei maritime Abgründe abhandengekommen. Das ist schade, da Seelandschaften natürlich auch Seelenlandschaften sind, die uns ozeanische Gefühle entlocken. Und wem beim Gedanken ans Meer nur fröhliche Urlaubsträume befallen, der bleibt zu oberflächlich. Umso fantastischer war es, dass der Deutschlandfunk seit mehr als 50 Jahren dreimal täglich eine Sendung bereithielt, die auch Landratten mit einer je 20-minütigen Portion mystischer Meeresmelancholie versorgte. Der Seewetterbericht war wie Verkehrsfunk auf LSD. Hier ließ sich in ein maritimes Alternativuniversum abtauchen, vor dem geistigen Auge zog ein Sturmtief auf dem tyrrhenischen Meer auf und man verfolgte ein wanderndes Hoch bis nach Island. Gedanklich derart von Küstennebelfeldern umgeben, stellte sich eine Art meteorologischer Existenzialismus ein: Angesichts solch unruhiger Untiefen schien die Welt grundlos. Man selbst war frei wie eine Lachmöwe.

Zumal diese Einsicht im Seewetterbericht einen nahezu spirituellen Touch bekam. Zum einen durch die parallelweltliche Funkeraussprache, in der Ost wie Ooost intoniert wurde, damit auch bei schlechtem Empfang keine Missverständnisse auftauchen. Zum anderen, weil der Seewetterbericht die Seewarnnachrichten mitsendete, deren Meldungen bisweilen wie Miniaturen von Moby Dick oder dem Seewolf wirkten. Wenn berichtet wurde, dass nahe der Forschungsplattform Fino3 die Leuchttonne ODAS – 55 Grad, 11,8 Nord; 7 Grad, 9,5 Ost – "nicht auf Sollposition" schwamm und vor den nordfriesischen Inseln die Leuchttonne 7 gerade unbeleuchtet sei, eine Leuchttonne vor Rügen sogar gänzlich verschwunden oder bei Neue Weser Nord-Reede ein "Anker mit neun Kettenlängen" verloren gegangen sei, sind das alles kleine Dramen von literarischer Qualität. Man fragt sich unwillkürlich: Wann wird Leuchttonne 7 wieder funktionsfähig sein? Findet Leuchttonne ODAS nach Hause? Taucht jene vor Rügen je wieder auf? Geistert nun ein Schiff rast- und ankerlos durch die Nordsee?

Darum ist es unverständlich, ja geradezu skandalös, dass der Deutschlandfunk den Seewetterbericht nun eingestellt hat. Gestern wünschte der DLF Sprecher Jan Kämmerer das letzte Mal zum Abschied "Mast- und Schotbruch". Der erklärte Grund für das Aus ähnelt jenem der bereits 2020 eingestellten Staumeldungen. Mittlerweile wären digitale "Wetterinfoboxen" und Wetter-Apps so weit verbreitet, dass die Ausstrahlung nicht mehr zeitgemäß sei. Zumal der Seewetterbericht sowieso nur noch eine Randexistenz pflegte. Die Ausstrahlung über Mittelwelle wurde bereits Ende 2015 beendet, zuletzt war er nur noch auf dem Digitalkanal Deutschlandfunk Dokumente und Debatten zu hören. Und auch wenn der Deutsche Wetterdienst weiterhin über das Seewetter informiert (auch als Podcast) bleibt dessen Ende beim Deutschlandfunk von symbolischem Gewicht. Nur wenige Sendungen verfügen schließlich über einen ähnlichen Tiefgang, die Dramen von verlustig gegangenen Ankern und verschwundene Leuchttonnen sollten öfter, nicht seltener ausgestrahlt werden. Womöglich müsste man sie lediglich als True-Weather-Crime bewerben. Hoffentlich besinnt der Deutschlandfunk sich also bald eines Besseren. Bis dahin bleibt mit Blick auf den Seewetterbericht nur zu sagen: Junge, komm bald wieder.

 

Hier übrigens nachgereicht noch der Link zur letzten Ansage und zum Podcast.

Plus Seewettermeldung für heute, herausgegeben vom Deutschen Wetterdienst, Seewetterdienst Hamburg:

Wetterlage 31.03.2024 00 UTC : Ein Sturmtief 979 südwestlich von Irland zieht unter Abschwächung wenig südostwärts. Ein Randtief 996 über dem Südteil von Utsira zieht unter Auffüllung nordostwärts. Ein weiteres Randtief 998 über Ostdeutschland zieht in Richtung Baltikum. Ein Hoch 1037 über Grönland verstärkt sich etwas. Ein zugehöriger Keil reicht zum Nordkap und verstärkt sich. Bis Montag früh ist in folgenden Vorhersagegebieten mit Starkwind zu rechnen: Südwestliche Nordsee, Dogger, Forties [...]

Frohe Oostern!

gehe jetzt auf Sollposition, Ei kappen, wo ist bloß der Sollbruchstellenverursacher ... doch nicht etwa bei der Leuchttonne?